Industriestrompreise Europa: Vergleich, Hintergründe, Ausblick

Industriestrompreise Europa: Vergleich, Hintergründe, Ausblick
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Industriestrompreise sind in Europa ein strategischer Wettbewerbsfaktor.

Dieser Beitrag analysiert Unterschiede, Ursachen und Chancen für Unternehmen – von regulatorischen Rahmenbedingungen bis hin zu grenzüberschreitenden Beschaffungsstrategien.

Das Wichtigste in Kürze

Zwischen europäischen Ländern gibt es teils erhebliche Unterschiede bei den Strompreisen. Diese resultieren nicht nur aus Marktmechanismen, sondern sind stark von nationalen Abgabenstrukturen, Netzengpässen und regulatorischen Rahmenbedingungen geprägt – und sie haben u. a. tiefgreifende Auswirkungen langfristige Energie-Strategien.

Dabei betrifft das Thema keineswegs nur klassische energieintensive Branchen: Auch Unternehmen mit vielen Standorten – etwa im Einzelhandel, in der Logistik oder im Hotelgewerbe – spüren die zunehmende Stromkostenbelastung deutlich. Gerade für diese Unternehmensgruppen kann ein strategischer Blick auf grenzüberschreitende Versorgungsmodelle und europäische Marktstrukturen neue Handlungsspielräume eröffnen.

Industriestrompreise in Europa: Ein strategischer Faktor

Wettbewerbsfähige Industriestrompreise sind eine zentrale Voraussetzung, um Länder in Europa als attraktiven Produktionsstandort im internationalen Vergleich zu sichern. In den aktuellen Debatten um Standortpolitik und Dekarbonisierung geht es dabei nicht nur um kurzfristige Entlastungen, sondern auch um die strukturelle Ausgestaltung von Strommärkten, die Integration erneuerbarer Energien und die Reduktion fossiler Abhängigkeiten.

Ein internationaler Vergleich zeigt, dass Unternehmen in Deutschland seit Jahren mit höheren Industriestrompreisen konfrontiert, sind als ihre Wettbewerber in Frankreich, Norwegen oder Polen. Diese Differenzen verdeutlichen, wie stark politische Rahmenbedingungen – etwa beim Zugang zu regulierten Tarifen oder der Ausgestaltung von Netzentgelten – die Strompreishöhe beeinflussen.

Für Entscheiderinnen und Entscheider in Unternehmen bedeutet das: Wer die aktuellen Entwicklungen im europäischen Energierecht und Strommarktdesign frühzeitig versteht und bewertet, kann strategische Vorteile sichern – sei es bei der internationalen Beschaffung oder der langfristigen Energieplanung.

Preisvergleich: Wo Strom für Unternehmen teuer ist – und wo nicht

Die Industriestrompreise in Europa unterscheiden sich teils erheblich – mit deutlichen Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Länder. Laut Eurostat liegen die durchschnittlichen Strompreise für Unternehmen in der EU bei 18,7 ct/kWh. In Deutschland zahlen Unternehmen mit durchschnittlich 23,3 ct/kWh rund 25 % mehr als der europäische Mittelwert. Besonders teuer ist Strom derzeit auch in Irland (25,6 ct/kWh) und Zypern (24,5 ct/kWh).

Strompreise Unternehmen in Europa

Land Strompreis für Unternehmen   Land Strompreis für Unternehmen   Land Strompreis für Unternehmen
Irland 25,6 ct/kWh   Zypern 24,5 ct/kWh   Deutschland 23,3 ct/kWh
Kroatien 23,1 ct/kWh   Ungarn 22,8 ct/kWh   Italien 20,9 ct/kWh
Polen 20,8 ct/kWh   Luxemburg 20,5 ct/kWh   Liechtenstein 20,5 ct/kWh
Österreich 19,9 ct/kWh   Niederlande 19,9 ct/kWh   Slowakei 18,8 ct/kWh
Tschechien 18,5 ct/kWh   Belgien 17,8 ct/kWh   EU Ø 18,7 ct/kWh

Wie in der Tabelle zu sehen, ist Deutschland eines der teuersten Länder für Industriestrom in Europa. Im Vergleich dazu profitieren Unternehmen in Ländern wie Dänemark, Schweden, Norwegen – je nach Verbrauchsprofil – von deutlich niedrigeren Preisen, teils unterhalb von 10 ct/kWh.

Gründe für die unterschiedlichen Industriestrompreise

Die Strompreise für die Industrie bestehen aus mehreren Bestandteilen. Und diese Komponenten können je nach Land und Region stark variieren.

Börsenpreis

Dieser spiegelt die Großhandelspreise für Strom wider und hängt unter anderem von Angebot, Nachfrage und dem Energiemix ab.

Abgaben & Umlagen

Abgaben und Umlagen zur Finanzierung des Stromsystems, z. B. für Offshore-Anbindung, KWK-Zuschläge oder Umlagen zur Vermeidung von Netzengpässen.

Steuern

Die Stromsteuer liegt in Deutschland weiterhin bei 2,05 ct/kWh - dem zulässigen Höchstsatz der EU. Für Unternehmen des produzierenden Gewerbes sowie der Land- und Forstwirtschaft gilt jedoch seit Januar 2024 ein reduzierter Satz von 0,05 ct/kWh (befristet bis Ende 2025), sofern ein Antrag gemäß § 9b StromStG gestellt wird.

Netzentgelte

In Deutschland machen die Netzentgelte teilweise über 25 % des Gesamtstrompreises aus. Während in Ländern wie Polen oder Frankreich diese Gebühren staatlich reguliert oder subventioniert werden, variieren sie in Deutschland stark nach Region und Verbrauchsprofil. Für Unternehmen mit hohem Strombedarf kann das erhebliche Kostennachteile bedeuten – selbst bei günstigem Börsenpreis.

Energiequellenmix

Auch der jeweilige Energiequellenmix hat erheblichen Einfluss auf die Strompreisentwicklung. Länder mit hoher Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen – insbesondere von importiertem Erdgas – sind anfälliger für globale Preisschwankungen. Das zeigte sich besonders im Jahr 2022, als infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der damit verbundenen Energiekrise die Gaspreise in Europa massiv stiegen.

In Deutschland führte das dazu, dass Gaskraftwerke – obwohl sie nur einen begrenzten Anteil an der Stromerzeugung hatten – häufig den Börsenpreis bestimmten (Merit-Order-Prinzip). Die Folge: deutlich höhere Industriestrompreise, die viele Unternehmen unter erheblichen Kostendruck setzten

Demgegenüber verfügen Länder wie Dänemark (Windenergie) oder Norwegen (Wasserkraft) über einen Strommix, der weitgehend auf erneuerbaren beziehungsweise CO₂-armen Energiequellen basiert. Das kann nicht nur die Importabhängigkeit verringern, sondern auch preisdämpfend wirken – wenngleich auch sie in das europäische Strommarktsystem eingebettet sind und von dessen Mechanismen beeinflusst werden.

Regulatorische Rahmenbedingungen

Nationale Eingriffe können gezielt bestimmte Verbrauchergruppen entlasten – etwa durch reduzierte Stromsteuern, privilegierte Netzentgelte oder Strompreisbremsen.

In Deutschland profitieren besonders stromintensive Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen von Entlastungen bei Netzentgelten (§19-StromNEV), sowie von individuell verhandelten Beschaffungskonditionen am Großhandelsmarkt. Diese Regelungen sollen internationale Wettbewerbsnachteile begrenzen, stehen jedoch nicht allen Unternehmen offen.

Ein anderes Beispiel ist der sogenannte „Iberische Mechanismus“, den Spanien und Portugal 2022 eingeführt haben: Dabei wurde der Gaspreis für die Stromerzeugung künstlich gedeckelt, um die Endkundenpreise zu stabilisieren. Diese Maßnahme hatte vorübergehend einen spürbaren preisdämpfenden Effekt für Haushalte und Unternehmen – allerdings finanziert über Zuschläge auf den Strompreis.

Solche politischen Eingriffe zeigen: Die Strompreise in Europa sind nicht nur das Ergebnis von Marktprozessen, sondern auch stark von staatlichen Rahmenbedingungen geprägt – mit entsprechendem Einfluss auf die Planungssicherheit von Unternehmen.

Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen

Industriestrompreise sind ein strategischer Kostenfaktor, der die internationale Wettbewerbsfähigkeit von (energieintensiven) Unternehmen unmittelbar beeinflusst.

Unterschiedliche Preisniveaus innerhalb Europas führen dazu, dass Unternehmen an hochpreisigen Standorten zunehmend unter Druck geraten. Hohe Stromkosten schwächen nicht nur die Marge, sondern wirken sich auch auf Investitionsentscheidungen und Produktionsverlagerungen aus. Der Blick auf Standorte mit niedrigeren Industriestrompreisen – etwa in Frankreich, Schweden oder Polen – ist für viele Konzerne längst Realität.

Einflussfaktoren auf die Standortwahl

  • Energiekosten: Länder mit günstiger Stromerzeugung und industriepolitischen Entlastungen bieten oft bessere Rahmenbedingungen für (energieintensive) Produktion.
  • Regulatorisches Umfeld: Unterschiede bei Netzentgelten, Stromsteuern oder Fördermechanismen können den Endpreis für Unternehmen erheblich beeinflussen.
  • Erneuerbare Verfügbarkeit: Der Zugang zu zuverlässig verfügbarem Grünstrom wird zunehmend zu einem Wettbewerbs- und Reputationsfaktor – etwa für ESG-Ziele oder PPAs.

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Für stromintensive Unternehmen mit mehreren Standorten ist ein rein nationaler Blick auf Stromkosten nicht ausreichend. Wer europäisch denkt – etwa durch PPAs mit lokalen Erzeugern oder die Nutzung internationaler Strommärkte – kann gezielt Wettbewerbsvorteile erzielen. Besonders effektiv sind regionale Grünstromprojekte in Standortnähe, die Preissicherheit und ökologische Transparenz bieten. Virtuelle PPAs aus anderen Ländern können wirtschaftlich attraktiv sein, ersetzen aber keine echte regionale Versorgung. Auch über Plattformen wie EPEX SPOT oder Nord Pool lässt sich Strom grenzüberschreitend beschaffen – unterstützt durch Energiedienstleister, die regionale Preisvorteile gezielt nutzen.

Was sich ändern könnte: Reformen im Strommarktdesign

Im Zuge der Reform des EU-Strommarktdesigns hat die EU-Kommission mehrere Vorschläge unterbreitet, die bedeutende Auswirkungen auf die Industriestrompreise in Europa haben könnten. Ziel dieser Reformen ist es, die Preisstabilität zu verbessern, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und Investitionsanreize für erneuerbare Energien zu schaffen.

Ein zentrales Instrument der Reform sind zweiseitige Differenzverträge (Contracts for Difference, CfDs), die staatlich garantierten Mindestpreise für Strom aus erneuerbaren Energien festlegen.

Wie zweiseitige Differenzverträge funktionieren

Liegt der Marktpreis unter dem garantierten Preis, gleicht der Staat die Differenz aus; liegt er darüber, wird der Überschuss abgeschöpft. Dies soll Investitionssicherheit für Erzeuger schaffen und gleichzeitig Verbraucher vor Preisspitzen schützen.

Die Reformpläne der EU-Kommission sehen auch eine stärkere Koordination der nationalen Strommärkte – etwa durch die Weiterentwicklung des Market Coupling und eine bessere Abstimmung der Netzkapazitäten.

Quelle: Europäisches Parlament, europarl.europa.eu, Stand 04/2024

Ziel ist es, Engpässe abzubauen, Preissignale europaweit effizienter zu setzen und Unternehmen mehr Planungssicherheit zu bieten.

Für Unternehmen ist es entscheidend, sich auf mögliche regulatorische Veränderungen vorzubereiten, die sowohl Chancen als auch Risiken mit sich bringen können. Ein proaktives Management ist hierbei unerlässlich, um im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig zu bleiben.

Einheitlicher Markt – aber keine einheitlichen Preise

Einheitliche Industriestrompreise wird es in Europa auch künftig nicht geben – dafür sind Unterschiede bei Erzeugungsstruktur, Infrastruktur, Abgabenpolitik und Marktdesign zu groß. Dennoch ist in Regionen mit gutem Netzausbau, funktionierendem Market Coupling und stabiler erneuerbarer Versorgung eine stärkere Preisangleichung möglich. Auch historische Kraftwerksstrukturen und der lokale Energiemix spielen eine Rolle – wie etwa in Skandinavien mit Wasserkraft und Kernenergie. Letztlich bleibt es ein Abwägen zwischen niedrigen Preisen und staatlicher Förderung, wie das Beispiel des EEG in Deutschland zeigt.

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