Die Kundenanlage ist tot – es lebe die Hausverteileranlage

Die Kundenanlage ist tot – es lebe die Hausverteileranlage
Bildquelle: AndreyPopov / www.panthermedia.net

Im Rahmen eines energierechtlichen Verfahrens hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage gestellt, ob die im betreffenden Rechtsfall vorherrschende Anschlusssituation mit Blick auf die europäische Energierichtlinie noch als Kundenanlage angesehen werden kann.

Unser Experte Jörg Geurink, Expert Technical Solutions & Regulation, hat sich im folgenden Beitrag ausgiebig mit der Thematik und dem vom EuGH gefällten Urteil auseinandergesetzt.

Jörg Geurink, Expert Technical Solutions
Jörg Geurink, Expert Technical Solutions & Regulation bei EHA

Kundenanlage gemäß Energiewirtschaftsgesetz

Die Kundenanlage gemäß § 24 a EnWG stellt eine Abgrenzung zum Begriff des Verteilnetzes dar und befreit den Betreiber einer solchen Infrastruktur von den regulatorischen Zwängen eines Verteilnetzbetreibers.

EuGH-Urteil: Deutsche Formulierung verstößt gegen Europavertragsrecht

Auf die aufgeworfene Frage hat der EuGH sehr nachhaltig geantwortet, indem er die komplette Ausnahmeregelung der Kundenanlage „kassiert“ hat. Die vom deutschen Gesetzgeber formulierte Abgrenzung zwischen Verteilnetz und Kundenanlage verstößt damit gegen geltendes Europavertragsrecht.

Die Auswirkungen des Urteils

Der Aufschrei in der Branche ist enorm, weil viele dezentrale Versorgungslösungen (Mieterstrom, Wärmelieferung mit Kraft-Wärme-Kopplung) auf Basis dieser Ausnahmeregelung aufsetzen. Für den Betrieb dieser relativ überschaubaren elektrischen Einrichtungen wären die regulatorischen Verpflichtungen, die ein Verteilnetzbetreiber einzuhalten hat, das wirtschaftliche „Aus“. Aber auch die Betreiber komplexer Gebäudeinfrastrukturen oder weitläufiger Industrieareale müssen jetzt abwarten, wie der nationale Gesetzgeber mit diesem Urteilsspruch umgeht.

Lösungsweg im Urteil aufgezeigt

Aus Sicht von Jörg Geurink hat der EuGH in dem Urteil einen Lösungsweg bereits aufgezeigt, der mit vorhandenen Marktstrukturen leicht umzusetzen ist.

Das EnWG definiert den Begriff des Verteilernetzes nicht direkt, sondern arbeitet hier mit dem „Energieversorgungsnetz“ (§ 3 Nr. 16 und 17 EnWG) sowie mit dem Begriff „Verteilung (§ 3 Nr. 37 EnWG). Überspitzt gesagt ist nach dem EnWG „jedes Stromkabel“ Stromversorgungsnetz, was nicht Kundenanlage ist. Diese Einstufung würde mit Wegfall der Ausnahmeregelung „Kundenanlage“ sogar die weitreichende europäische Auslegung des Begriffes „Verteilernetz“ übertreffen.

Der EuGH hat eine sehr formale Betrachtungsweise an den Tag gelegt: wird die Infrastruktur zur Energieverteilung genutzt so ist deren Betreiber Verteilernetzbetreiber und unterliegt den regulatorischen Vorgaben. Die Auseinandersetzung mit den Begriffen „Verteilung“ und „Versorgung“ zeigt dabei den für viele nun vermeintlich betroffene Betreiber elektrischer Infrastruktur den „sicheren Hafen“ auf. Elektrische Infrastruktur wird nur dann zum Verteilernetz, wenn innerhalb dieser Infrastruktur auch „Versorgung“ stattfindet.

Der europäische Begriff der „Versorgung“ umfasst den Verkauf einschließlich des Weiterverkaufs von Elektrizität an Kunden. Das EnWG zählt dagegen auch noch die Erzeugung bzw. Gewinnung von Energie zur Belieferung von Kunden dazu. Wenn also innerhalb einer elektrischen Anlage weder Elektrizität erzeugt noch verkauft wird, stellt diese Infrastruktur kein Verteilernetz dar.

Damit wird entscheidend, welche Liefergrenze zwischen Lieferanten und Stromkunde vereinbart ist.

EHA-Newsletter

Immer auf dem Laufenden: Trends, Insights und Potentiale – Energiewirtschaft auf Augenhöhe!

Die Verarbeitung Ihrer Daten erfolgt im Rahmen unserer Datenschutzerklärung.

Beispiel Liefergrenze in älteren Mehrfamilienhäusern

Ein gutes Beispiel für die vereinbarte Liefergrenze zwischen Lieferanten und Stromkunden sind hier Stromzähler auf den Etagen der Treppenhäuser in älteren Mehrfamilienhäusern. Die Liefergrenze für alle Bewohner ist hier identisch im Keller am Hausanschlusskasten. An dieser Stelle endet das Verteilernetz und die elektrische Anlage des Anschlussnehmers beginnt hier. Unabhängig vom Ort der Messung „übernehmen“ der Mieter im Dachgeschoß und die Mieterin im Erdgeschoß den Strom am gleichen Punkt – an der Grenze vom Verteilernetz zur Hausanlage (Eigentumsgrenze). Innerhalb der Hausanlage wechselt die Elektrizität nicht mehr den Eigentümer, sodass eine „Versorgung“ im rechtlichen Sinne innerhalb der Hausanlage nicht stattfindet.

Artikel herunterladen

PDF
EHA Logo

Über EHA

Die EHA Energie-Handels-Gesellschaft ist der Energiedienstleister für Unternehmen mit vielen Standorten. Als verlässlicher Partner in allen Energiethemen bieten wir ein breites Spektrum an Services und Mehrwerten, die immer genau auf die Bedürfnisse unserer Kunden zugeschnitten sind.

Ihre Frage, Hinweise und Anregungen an unsere Experten

*

* Pflichtfelder bitte ausfüllen

Am meisten gelesen