Lebensmittelzeitung: Jan-Oliver Heidrich spricht über Energieeinkauf, Windparks und Gas

22.04.2022 / Textumfang: 7454 Zeichen (mit Leerzeichen)

Herr Heidrich, als oberster Energiehändler für Rewe sind Sie derzeit ein gefragter Mann, oder?
Momentan ist es brutal, das habe ich in 30 Jahren noch nicht erlebt. Viele fragen um Rat, das geht quer durch den Konzern. Ich habe so viel mit dem Einkauf zu tun wie lange nicht. Auch Hersteller fragen uns, vor allem die von energieintensiven Produkten. Sie klagen, dass die Energiepreise massiv gestiegen sind, und möchten die Preise erhöhen.

Lebensmittelzeitung: Jan-Oliver Heidrich spricht über Energieeinkauf, Windparks und Gas

Sind diese Forderungen berechtigt?
Das kommt darauf an, ob sich der jeweilige Lieferant rechtzeitig eingedeckt hat. Laut einer IHK-Umfrage müssen 50 Prozent der Unternehmen dieses Jahr noch Strom kaufen. Zum Teil haben sie erst 30 Prozent ihres Energiebedarfs gedeckt. Wenn das so ist, ist das aber die Entscheidung des betroffenen Unternehmens. Dafür kann Rewe als Händler nicht seine Kunden haftbar machen.

Ist das nicht ein bisschen hart?
Vor zwei Jahren gab es coronabedingt massive Preiseinbrüche beim Strom. Da hat auch kein Hersteller seine Preise gesenkt.

Wie kann sich ein Unternehmen überhaupt mit Energie eindecken?
Wir kaufen Strom für unsere Kunden in erster Linie langfristig am sogenannten Terminmarkt. Dort sichern wir uns mit Kontrakten über mehrere Jahre ab. Der Preis dort hängt von den Erwartungen der Marktteilnehmer ab, ähnlich wie an der Börse. Nur den Rest kaufen wir kurzfristig am Spotmarkt. Dort verkaufen die Kraftwerke, was sie am jeweiligen Tag ausstoßen. Der Preis schwankt abhängig von Wind, Sonne und Brennstoffkosten. Die genannten Kontrakte haben Sie aber unter den bisherigen Bedingungen gemacht.

Was ist, wenn Putin den Gashahn zudreht?
Ob er das wirklich tut, ist schwer zu sagen. Und auch falls es passieren sollte, sehe ich erst einmal keine Stromknappheit auf uns zukommen. Denn Kraftwerke sind systemrelevant, die werden nicht wegen Gasknappheit abgeschaltet. Da fallen eher Industriebetriebe aus der Priorisierung der Bundesnetzagentur heraus.

Bauen Sie trotzdem vor?
Wir bereiten uns auf alles vor. Aber das tun wir, indem wir wie immer vernünftig, strukturiert und breit gestreut Strom einkaufen. Momentan kaufen wir Strommengen von großen internationalen Energiekonzernen, die in ihrer Produktion weniger gaslastig sind. Um das Risiko zu streuen, kaufen wir generell Strom von allen großen Anbietern über verschiedene Zeiträume ein.

Was bedeutet das für den Preis, den Sie für Strom bezahlen?
Er bleibt verlässlich. Da wir langfristig einkaufen, sind wir finanziell abgesichert, für dieses Jahr und weite Teile der Jahre 2023 bis 2025. Außerdem sinken die Preise am Terminmarkt am langen Ende interessanterweise schon wieder. Strom für 2025 kostet fast nur halb so viel wie für 2022: rund 10 Cent statt 18,5 Cent pro Kilowattstunde. Der Markt glaubt also, dass das hohe Preisniveau von heute langfristig keine Grundlage hat. Aber aktuell steigen die Preise. Ja, am kurzfristigen Spotmarkt. Aber am langfristigen Terminmarkt haben sie das schon seit September 2021 getan, da ist schon viel eingepreist. Denn der Anstieg hat nicht nur mit Russland zu tun, sondern auch damit, dass die Weltwirtschaft nach Corona wieder hochfährt und eine immense Nachfrage nach Gas entwickelt. Hinzu kamen seit September Kraftwerksausfälle, eine Wasserknappheit in Südamerika und überflutete Kohlegruben in China. 

Warum sichern sich andere Händler nicht so langfristig ab wie Sie?
Sie haben nicht die nötige Struktur im Einkauf. Wir sind die einzigen, die über Börsen und Broker professionell Energie einkaufen. Wir setzen mit 120 Mitarbeitern im Jahr rund 700 Millionen Euro um. Hauptkunde ist unser Inhaber Rewe, aber die andere Hälfte des Umsatzes machen wir mit Drittkunden wie dm, Landgard oder Deutsche See.

Was machen die anderen Lebensmittelhändler?
Sie sichern sich natürlich ebenfalls ab. Als Vorsitzender des Energieausschusses beim Handelsverband HDE habe ich da einen ganz guten Überblick. Für dieses Jahr sind alle eingedeckt – für 2023 allerdings schon nicht mehr.

Sollten sie sich also jetzt für nächstes Jahr eindecken?
Derzeit ist es immens schwer, über eine Ausschreibung überhaupt Stromlieferanten zu finden. Denn die Preise schwanken stark und schnell. Angebote gelten zum Teil nur für drei Stunden. Die Einkäufer bei anderen Händlern können aber nicht sofort kaufen, weil sie Bindefristen haben, in denen sie sich mit der Geschäftsführung abstimmen müssen.

Wäre es nicht besser, sich weniger abhängig von globalen Entwicklungen zu machen?
Genau das machen wir ja. Voriges Jahr haben wir uns am Windpark Borkum-Riffgrund 3 beteiligt, genau wie BASF, Amazon und Google. Das wird der größte Offshore-Windpark Deutschlands, 2025 soll er in Betrieb gehen. 20 Prozent unseres Strombedarfs haben wir damit bis 2035 abgesichert, zu festen Konditionen und unabhängig vom Weltmarkt. 

Was ist mit der eigenen Stromerzeugung durch Solaranlagen? Ist Aldi da nicht viel weiter?
2035 bis 2040 wird Rewe 100 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen. Das wollen wir durch direkte Verträge mit Windparkbetreibern erreichen und durch eigene Photovoltaikanlagen, die wir zur Zeit massiv ausbauen. Wenn es so weit ist, können wir uns auch vom Terminmarkt zurückziehen.

Machen Sie sich damit nicht selbst überflüssig?
Ein wenig schon. Dann brauchen wir allerdings den Spotmarkt zum Ausgleich der Schwankungen bei Wind und Sonne noch stärker als heute. Außerdem kaufen wir nicht nur Strom, sondern auch Gas für Rewe. Wie sieht es in diesem Bereich aus? Rewe verbraucht pro Jahr etwa 2,5 Terawattstunden Strom, das entspricht 750 000 Haushalten. Aber wir brauchen auch 1 Terawattstunde Gas, den Großteil davon für unsere Produktionsbetriebe. Da ist es derzeit schwierig, Lieferanten zu finden.

Wenn Putin Europa den Gashahn zudreht oder die EU ihrerseits ein Embargo beschließt, wird es noch schlimmer, oder?
Ja, dann wird es ein bisschen kritisch. Dann ist die Frage, wer in die Priorisierung kommt. Wir reden aber mit der Bundesnetzagentur, und in der Lebensmittelproduktion haben wir gute Argumente. Daher sind wir vorsichtig optimistisch, dass wir zur kritischen Infrastruktur gehören.

Unterdessen können Händler auch Strom sparen, um weniger kaufen zu müssen. Wie weit sind Sie in diesem Bereich?
Dafür sind bei Rewe die Energiemanager zuständig, mit denen wir jeden Tag in Kontakt sind. Die großen Einsparpotenziale haben sie aber schon ausgeschöpft.

Inwiefern?
Alle Kühlmöbel haben mittlerweile Glastüren, damit keine Kälte entweicht. Bis 2035 werden wir in allen 5 000 Rewe-Märkten Wärmerückgewinnungssysteme haben, um die Abwärme aus der Kälteanlage zu nutzen. Die neu gebauten Märkte haben schon heute keinen Gasanschluss mehr.

Warum ist der Energieverbrauch dann immer noch so hoch?
Die Kälteanlagen werden größer, oft doppelt so groß wie vorher, weil wir die Convenience ausbauen. Aber die Kunden wollen das eben. Es ist ja oft so, dass die Technik sparsamer wird, aber die Anwendungen gleichzeitig wachsen. Fernseher und Autos werden zum Beispiel immer effizienter, aber auch immer größer. 

Bekommen Sie für Ihre Maßnahmen zur Energie-Effizienz genug Hardware und Handwerker?
Nein, bei Weitem nicht. Für unsere Energiemanager ist der Mangel derzeit das bestimmende Thema. Mittlerweile ist der Preis fast kein Thema mehr – sie sind froh, wenn sie überhaupt etwas bekommen. Deshalb müssen sie in der Beschaffung noch flexibler werden und auch mal vom eigenen Standard abrücken.

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Bild zu: Hanna Behrendt

Hanna Behrendt

Marketing & Kommunikation
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